Weg vom Krieg

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Weg von Kyiv. Es ist 6 Uhr, warum nur treibt es mich seit dem wir in der Ukraine sind so früh aus dem Bett, warum habe ich so wenig Hunger? Mein ganzer Körper ist wohl nach wie vor vollgepumpt mit Adrenalin.
Auch, wenn die Anspannung nach dem erfolgreichen Erreichen unserer Lieferung nach Kyiv ein wenig abgeklungen ist, das Land, die ganze Stimmung hier schreit Krieg.
Ich bin jetzt gerade 2 Tage mit der Situation hautnah verbunden und es ist schon eine Belastung. Wie muss es dann den Ukrainer:innen gehen, die Tag täglich neue Hiobsbotschaften von den Fronten bekommen, oder (Fern)Angriffe durchleben müssen.
Ich würde gerne noch einen Tag bleiben, einfach nur normal plaudern, vielleicht auch eine klitzekleine Runde mit dem Motorrad durch Kyiv drehen. Aber das ändert nichts an der aktuellen Situation und verbessert auch nicht unsere Sicherheit. Wir haben die aktuelle Phase (kurz nach dem Abzug der Z Armee nördlich von Kyiv und die ersten Entdeckungen der Morde rund um Butscha (Буча) auch gewählt, weil wir davon ausgingen, dass beide Seiten sich nun neu konsolidieren bevor es wieder losgeht. Jeder Tag mehr schließt aber dieses Fenster wieder ein wenig.
Es ist daher Zeit zum Aufbruch. Vielleicht schaffen wir heute eine gute Strecke zurück?

Zuerst wird aus den Reservekanistern der Transporter aufgetankt, bis kein Tropfen mehr Platz im Tank hat. Die fast leeren Kanister (sie sind transparent und zeigen einen interessanten slowakischen Tankstellen Bodensatz) lassen wir so wie die vollen Benzinkanister zurück, wir werden sie nicht mehr brauchen.  Alena kann noch kurz Probesitzen und bekommt von Olpo auch noch eine ganz kurze Einweisung in das Fahrzeug.
Wir verabschieden uns von Alena und Kosta, bedanken uns herzlich für die erwiesene Gastfreundschaft und das selbst gebaute Geschenk (für den Motorrad Helm) und starten unseren Rückweg in dem wir zuerst südlich um Kyiv herum fahren, immer entlang an Verteidigungslinien und Checkpoints, dann im Westen von Kyiv nach Norden bis wir kurz vor Irpin (Ірпінь)  nach Westen schwenken.
Hier sehen wir den noch frischen Irrsinn eines Krieges. Zerstörte Häuser bzw. Dörfer, zerstörte Infrastruktur und zerstörtes Kriegsgerät.

Für mich ein Anachronismus, aber irgendwo, mittendrin in dem Chaos arbeiten Straßenbetreiber Mitarbeiter daran platt gewalzte Leitschienen zu reparieren, demolierte Brücken zu sichern, Straßen von Schrott zu befreien, auf gut Deutsch: Den Normalzustand wiederherzustellen.
Das ist so unwirklich für mich, wenn ich die restliche Umgebung betrachte.  Auf der anderen Seite ist es natürlich eine kritische Infrastruktur die auch im Krieg eine Bedeutung hat. Und damit einen Wert, der nun wieder hergestellt wird.

Unsere Fahrt jedoch führt uns aus all diesen bedrückenden Bilder fort nach Westen zu mehr Sicherheit, Wärme und Freiheit.
Eine Freiheit die diese Leute hier nicht nur für sich, sondern im weitesten Sinn auch für uns verteidigen, weil sie noch nicht vergessen haben was es bedeutet nicht frei zu sein. Für uns sollte es ein Weckruf sein, das Freiheit auch ihren Preis hat.

Wir fahren jetzt wieder auf der bekannten Route nach Westen, erreichen schnell Schytomyr und dann Rivne wo wir nochmal aus den Kanistern nachtanken.
Hier holt uns derKrieg noch einmal sehr konkret ein. Ich habe es bereits auf Youtube gesehen, aber nun in seiner berührenden und würdigen Form direkt vor uns. Die Rückkehr von gefallenen Ukrainischen Soldaten bzw. die Würdigung für deren Einsatz durch die jeweilige Bevölkerung.


Wir liegen gut in der Zeit, auffällig ist, dass der Gegenverkehr sehr stark ist. Die Rückreisewelle hat anscheinend begonnen. Ich frage mich nur, ist es nicht zu früh?
Wir fahren an Lviv vorbei und biegen nach Süden ab. Wir fahren nicht nach Polen, unser Diesel Vorrat reicht bis Ushgorod und deshalb wählen wir die gewohnte Strecke, in der Hoffnung diesmal schneller über die Grenze kommen zu können.

Die Karpatengipfel sind Schnee bedeckt, aber das Wetter ist diesmal OK. Bis auf ein paar längere Stopps an Kontrollpunkten gibt es auch keine Aufenthalte. Als wir den Pass überwunden haben (Das Skigebiet dort schaut interessant aus) kalkuliere ich die potentielle Ankunftszeit in Ushgorod. Es schaut so aus, als ob wir es heute noch bis zur Grenze schaffen werden, ca. 20:30 sollte es werden.


Die alles entscheidende Frage ist nur, gleich zur Grenze, oder noch in Ushgorod die Nacht bleiben? Wir entscheiden uns für zweites (eine Nacht an der Grenze verbringen war wirklich genug) und reservieren ein Zimmer im Hotel Emigrand.
Am ersten Blick schaut das Hotel geschlossen aus, aber wir entdecken den richtigen Eingang und haben ein Zimmer. Nach einer Dusche machen wir uns zu Fuß (ca. 15-20min) auf ins Klepach (Клепач – für mich wäre es nach dem Cyrillisch eher Klepatsch gelesen, aber so steht es auch auf FB) , ein Braugasthof der anscheinend aktuell nur von jungen Leuten besucht wird. Wir verwirren kurz die Kellnerin mit Deutsch/Englisch, die dann einen jungen Mann (Koch – nach der Montur zu urteilen?) zu uns beordert, der auch gut englisch spricht. Wir bekommen die Karte kurz erläutert und wissen sehr schnell was wir haben wollen. 1x Pizza Quattro Formaggio, und einmal die Forelle gegrillt mit Erdäpfel!. 

Beides kommt nach einer Weile und beides schmeckt ausgezeichnet. Als Nachspeise gönne ich mir noch ein Tiramisu, das dann zwar kein Tiramisu ist, aber ebenfalls einfach köstlich schmeckt. Wir plaudern auch noch kurz mit unserem „Kellner“ er bekommt auch die WIMA-Austria Instagram Seite als Link, und ich lade ihn ein in Österreich zu arbeiten, weiß Gott wir haben zu wenig Mitarbeiter in der Gastro. Dabei vergesse ich aber, dass er zumindest in der aktuellen Situation nicht über die Grenze kommen kann.
Im Lokal ist die Atmosphäre dermaßen entspannt, dass die Realität draußen bleibt. Sehr satt und um 610 Hriwija (20€ !) ärmer kehren wir wieder zurück ins Hotel, um unsere vorerst letzte Nacht in der Ukraine zu verbringen.

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